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Zehlendorf 6.2/04
UNSER SCHÖNES ZEHLENDORF 5
 

Von Langen Löffeln profitieren

Berliner Bürger engagieren sich in gegenseitiger Verantwortung für Jung bis Alt

Lange Holzlöffel
Die zwei langen Löffel an der Wand besitzen nicht nur Symbolcharakter, sondern fordern dazu auf, das Geheimnis der Langen Löffel zu ergründen

Ein Besuch im Löffelbüro in der Zehlendorfer Mühlenstraße 49 im Berliner Süden gibt Aufschluss darüber, wie aktiv sich Lange Löffel in gegenseitiger Verantwortung unterstützen, einander Hilfestellung geben und füreinander einsetzen. Zwei fröhlich dreinblickende Lange Holzlöffel an der Wand besitzen nicht nur Symbolcharakter, sondern fordern dazu auf, das Geheimnis der Langen Löffel zu ergründen, das darauf beruht, dass immer genügend Aktive den Löffel schwingen beziehungsweise umdrehen.

Es irrt, wer bei Langen Löffeln nur an die Hasenohren in der Jägersprache denkt. Sie mögen im übertragenen Sinne aber als „Lauschorgane“ für benötigte Hilfe auch eine Rolle spielen. Tatsächlich jedoch wählte man das seit dem Altertum bekannte Essgerät als Sinnbild des Kontaktes zum Nächsten, der in Not sein könnte. Auf dem Land löffelte man noch vor 100 Jahren mit kunstvoll geschnitzten oder beinernen, wenn nicht gar verzinnten Löffeln, die mit religiösen Zeichen oder eingekerbten frommen Sprüchen versehen waren, gemeinsam aus einem Topf. Die Löffel verbanden die Familie und auch das Gesinde. Im Mittelalter waren Löffel kulturhistorisch Minnegaben, im 17. Jahrhundert poussierte man untereinander, wenn sich die langen Löffel im Topf berührten; reiche Paten verschenkten ein Besteck aus „Apostel-Löffeln“, wovon bis heute im Brauchtum noch der silberne oder goldene Patenlöffel zeugt. So anspruchsvoll ist man bei den Langen Löffeln längst nicht; mit den großen Holzlöffeln können vielmehr Bedürftige „Hilfe“ schöpfen und Aktive „Hilfe“ austeilen.

Höllenpein und himmlische Freude

Andreas Urner als Verantwortlicher löffelt sinnbildlich mit diesen Essgeräten im Löffelbüro des Diakonischen Fördervereins der Evangelischen Stehanus-Kirchengemeinde Berlin-Zehlendorf e.V., der als Träger wiederum unter dem Ligadach des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg angesiedelt ist. „Den Namen dieser Initiative“, so erklärt er, „leitete ich ab von einer jüdischen Parabel, von der ich in einem Gottesdienst hörte.“ Ein Rabbi Mendel, so die Gleichnisgeschichte, wollte Himmel und Hölle kennen lernen. Der Prophet Elias führte ihn zunächst in teuflische Gefilde: An einem langen Tisch saßen ausgehungerte Menschen, die versuchten, mit meterlangen Löffeln Suppe aus vollen Schüsseln zu schöpfen und zum Munde zu führen. Das misslang natürlich; die Menschen waren dazu nicht in der Lage, verhungerten schier und stießen in diesem Chaos zudem gar die Suppengefäße um. Ganz anders ging es in einem ähnlich eingerichteten Speiseraum im Himmel zu. Der Prophet ließ Rabbi Mendel ein, und der staunte nicht schlecht. Hungrig waren die an einem ähnlich langen Tisch sitzenden Menschen auch dort. Sie saßen ebenfalls vor dampfenden Suppenschüsseln und hatten meterlange Löffel in der Hand. Auch sie konnten unmöglich selbst die Löffel zum eigenen Mund führen, aber wussten sich zu helfen: Sie speisten sich einfach mit den langen Löffeln über den Tisch hinweg gegenseitig, wurden alle satt, verschütteten keine Suppe und waren zufrieden. ...

Unentgeltliche Hilfe gegen Zeitlöffel

Dieser Unterschied zwischen Himmel und Hölle wurde zum Grundsatz des Vereins. „Vor dem Hintergrund der Langen Löffel ist man im übertragenen Sinne durchaus imstande, sich in gegenseitiger Verantwortung zu unterstützen, einander Hilfestellung zu geben und sich füreinander einzusetzen", definiert Andreas Urner das soziale Motto. Auslöser dafür war im Übrigen für den vor neun Monaten tätig gewordenen Verein die Tatsache, dass einerseits in Zehlendorf viele ältere, einsame, hilfsbedürftige Mibürger auf sich selbst gestellt sind und Beistand benötigen, dass andererseits aber auch die Bereitschaft groß ist, als Aktiver dem Mitmenschen den Langen Löffel „zum Munde“ zu führen

Zielgruppen der für den Bedürftigen unentgeltlichen, vom Betreuer ehrenamtlich durchgeführten Unterstützung sind in erster Linie Senioren. Die werden beispielsweise zu Gesprächen, zum Vorlesen oder Gesellschaftsspiel daheim, im Krankenhaus oder Seniorenheim – etwa im Haus Nansen – aufgesucht, wenn sie es wünschen. Die Helfer begleiten sie zum Arzt oder auf dem Spaziergang, beraten beim Ausfüllen von Formularen oder beim Briefschreiben, erledigen dringende Einkäufe, übernehmen auch schon mal Aufgaben im Haushalt. „Pflege und Hauspflege kann nicht geleistet werden. In diesen Fällen nehmen wir mit der Sozialstation Kontakt auf“, so Andreas Urner.

Durchaus möglich ist es jedoch, im Rahmen eines sporadischen Besuchsdienstes der Vereinsamung mancher älterer Mitbürger vorzubeugen. Als Alleinerziehende ist Frau Schneider schon einmal darauf angewiesen, dass sich während eines unaufschiebbaren Behördenganges jemand von den Langen Löffeln ihrer beiden kleinen Kinder annimmt. Die Angehörigen des pflegebedürftigen Herrn Möller bitten Kräfte des Vereins ab und zu darum, sie etwa für zwei Stunden in der Wohnung zu vertreten, um eine Pause zu genießen. Der Notlagen gibt es viele, ungefähr 14 Helfer dieser Gruppe finden zur Zeit genügend Tätigkeiten. „Es melden sich für diese Aufgaben überwiegend ältere Zehlendorfer, die Zeit haben, Einfühlungsvermögen besitzen und manchmal sogar aus sozialen Berufen kommen“, wird betont. Ein 70-Jähriger hilft gern mit dem Bemerken: „Ich bin vielleicht auch bald in der Situation, dass ich nicht mehr alles selbst verrichten kann und Begleitung brauche.“ Aber auch einige jüngere Menschen engagieren sich als Lange Löffel, ohne nach Entgelt zu fragen. Dankbar ist jeder Bürger, wenn für ihn ein Langer Löffel in Sicht ist, das beweisen die Reaktionen auf dieses interkonfessionelle Angebot des diakonischen Fördervereins.

„Entlohnt“ werden alle aktiven Langen Löffel auf die gleiche Art und Weise: Jeder besitzt beim Verein ein Zeitkonto. Jede halbe Stunde des sozialen Engagements bringt einen „Löffelpunkt“ zur Gutschrift auf das Konto. Man sammelt diese Löffel und setzt sie als Zeitpunkte ein, wenn man sich selbst einmal in einer Notlage befindet und Unterstützung braucht. Die erarbeiteten Löffel lassen sich aber auch an enge Familienangehörige „überschreiben“ und im Betreuungsfall in ehrenamtliche Hilfe umsetzen. Staatliche Zuschüsse oder Geld von der Kirche gibt es natürlich nicht, aber um den guten Zweck zu unterstützen und die Langen Löffel in Bewegung zu halten, kann man spenden oder Mitglied im Förderverein werden.

Mit- und füreinander leben

„Die Zukunft der Langen Löffel“, heißt es, „wird dadurch ergänzt, dass neue überbezirkliche Hilfen geplant sind, sich weitere Gruppen bilden, die Mitarbeiter intensiv beraten und etwa in Gesprächsführung geschult werden und regelmäßig in Lange-Löffel-Kursen ihre Erfahrungen austauschen können. Ein „Löffelcafé“ als Treffpunkt für Aktive und Hilfebedürftige wird dazu beitragen. Vielleicht führt man eines Tages für besonders engagierte Mitarbeiter auch mal den lachenden Holzlöffel als „Urkunde“ ein.

Bis dahin dürfte allerdings noch einige Zeit vergehen, denn die Anlaufphase ist lang und bringt vorerst neue Anpassungen mit sich. Dem Grundsatz aber bleibt man bei den Langen Löffeln unerschütterlich treu: Jeder Bedürftige kann auf deren Einsatz hoffen, von der Hilfe der Mitmenschen profitieren. Der Hilfsbereite andererseits erfährt die Genugtuung, dass sein Einsatz das Mit- und Füreinander von Jung bis Alt fördert, weiter ausbaut und dass er selbst erforderlichenfalls ohne schlechtes Gewissen in besonderer Notlage wie im Himmel der Parabel mittels Langer Löffel Hilfe „schöpfen“ und sich daran „laben“ kann.

Wer mitlöffeln möchte oder Löffelhilfe benötigt, kann montags zwischen 1730 Uhr und 1930 Uhr Kontakt zu den Langen Löffeln aufnehmen: bei Herrn Urner in der Zehlendorfer Mühlenstraße 49 oder telefonisch unter 84 72 87 86. Auch im Bürgeramt liegen aufschlussreiche Flyer aus.

Karl-Heinz Wiedner

aus dem GAZETTE-Verbrauchermagazin Ausgabe Zehlendorf 6.2/04 vom Juni 2004